Speziell für die Forschung zu komplementären Währungsformen (KW) und den Austausch zwischen Akademikern und Praktikern findet alle zwei Jahre eine internationale Konferenz statt. Die erste Veranstaltung dieser Art war in Lyon, Frankreich, im Februar 2011, gefolgt von einer zweiten Veranstaltung in Den Haag, Niederlanden, im Juni 2013. Dieses Jahr trafen sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt in Brasilien, einem der Länder mit der aktivsten Komplementärwährungs-Szene. Vom 27. bis zum 30. Oktober kamen über 60 Akademiker, Praktiker und KW-Experten in Salvador de Bahia, einer Küstenmetropole in Brasilien zusammen.
Faro de Barra, eines der Wahrzeichen Salvadors
40 Wissenschaftler präsentierten ihre jüngsten Forschungsergebnisse zu den Oberthemen:
1) Kws im Entwicklungskontext,
2) Wirksamkeitsstudien,
3) kontextuelle Unterschiede und Erfahrungsberichte,
4) Typologien, Modelle und Innovationen
Die einzelnen Beiträge können hier auf der Konferenz-Webseite heruntergeladen werden.
João Joaquim de Melo Neto
Ein weiteres Hauptaugenmerk der Konferenz galt den Gemeinschaftsbanken Brasiliens und ihren lokalen Währungen, von denen es mittlerweile über 100 im ganzen Land gibt. Diese mittlerweile gut organisierte und sich stets weiterentwickelnde Idee hatte im Jahre 2000 in einer kleinen Gemeinde in der Nähe Fortalezas im Norden des Landes begonnen. Im Zuge eines lokalen Entwicklungsprojektes im Conjunto Palmeiras wurde auch mit komplementären Währungen experimentiert und nach Versuchen eine Währung im Stile von Tauschringen zu etablieren, wurden Start-up Kredite in lokalen Gutscheinen ausgegeben, die ähnlich wie der Chiemgauer in Deutschland mit nationaler Währung hinterlegt waren, aber nur bei lokalen Unternehmen gültig waren. Die lokale Multiplikatoren-Wirkung dieser Währung, Palmas genannt, zeigt schnell Erfolg. Und nachdem auch die Zentralbank Brasiliens, leider erst nach einigen schwierigen Gerichtsprozessen von der positiven Wirkung und Legalität dieser monetären Instrument überzeugt war, wuchs das Projekt in Palmeiras rasant. Und vor allem fanden sich in ganz Brasilien immer mehr gemeinnützige Institutionen, die diese Idee umsetzen wollten. Seit einigen Jahren gibt es das nationale Instituto Banco Palmas, das für all diese weit verstreuten Projekte Vernetzung, Bildungs- und Aufklärungsarbeit betreibt.
“Klassische“ Banco Palmas Scheine und die neue Handy-App für den elektronischen Zahlungsverkehr
João Joaquim de Melo Neto, Mitgründer der ersten Banco Palmas und heute Koordinator und Sprecher des Institutes stellte auf der Konferenz die Geschichte und die neuen Entwicklungen der lokalen Währungen in Brasilien vor. Vor allem die jüngst eingeführte Möglichkeit die Währungen auch in elektronischer Form, über Internetbanking und Handy-Apps zu verwenden, regt die Hoffnungen an die momentane Zahl von rund einer Millionen Nutzern bald auf ein Vielfaches zu erweitern.
Über die Entwicklung des zunächst konfrontativen aber mittlerweile sehr offenen Dialogs zwischen den Gemeinschaftsbanken und den Finanzbehörden Brasiliens berichtete Marusa Vasconcellos Freire von der Zentralbank Brasiliens. Durch ein neues Gesetz der Sozialen und Solidarischen Ökonomie, erfahren die Gemeinschaftsbanken mittlerweile Anerkennung und gesonderte Regulierung, die ihren Zielsetzungen und ihrer Größe im Vergleich zu kommerziellen Banken Rechnung trägt.
Geovanny Cardoso, Ministerium für Sozialökonomie, Ecuador
Ähnliche Entwicklungen beschrieb Geovanny Cardoso vom Ministerium für Sozialökonomie in Ecuador. Um dem Land neue Möglichkeiten in der Unterstützung der sozialer Wirtschaftsformen zu eröffnen, obwohl die Landeswährung seit dem Jahre 2000 der US Dollar ist, hat die Zentralbank dort ebenfalls eine elektronische Währung eingeführt , die zwar immer noch an den Dollar gekoppelt ist, aber gegen die chronische Knappheit von Bargeld vor allem im informellen Sektor und für Kleinstunternehmer helfen soll – ein erster Schritt zurück zur monetären Souveränität.
Das Highlight des vorletzten Tages der Konferenz war die Gründungsversammlung des weltweiten ersten wissenschaftlichen Verbandes, der sich mit der Erforschung von KW und verwandten Themen beschäftigt und die zukünftigen Konferenzen in Partnerschaft mit lokalen Universitäten ausrichten wird. Das ist eine wichtige Konsolidierung für die wissenschaftliche Arbeit im Bereich monetäre Vielfalt und komplementäre Geldsysteme, die bislang keine dauerhafte Vertretung im internationalen Wissenschaftsbetrieb hat.
RAMICS Gründungsvorstand bei der ersten Abstimmung
Der Verband wird seine rechtliche Heimat in Frankreich haben, jedoch stets Repräsentanten aus der ganzen Welt im Vorstand haben.Die Mitglieder des Gründungsvorstandes setzen sich zusammen aus den Hauptorganisatoren der ersten drei Konferenzen zusammen, Prof. Jerome Blanc (Lyon), Dr. Georgina Gomez (Niederlande) und Dr. Ariádne Scalfoni Rigo (Brasilien) sowie Prof. Makoto Nishibe (Japan) und Rolf Schröder (Deutschland). Eine Kurznotiz zur Gründung ist auf der zukünftigen Webseite des Verbandes unter www.RAMICS.org zu finden. Die nächste Konferenz dieser Art wird im Jahre 2017 in Barcelona, Spanien stattfinden. MONNETA wird weiter darüber informieren.
Wir aktzeptieren Conchas
Am letzten Tag unternahmen die Teilnehmer der Konferenz einem Tagesausflug zu einer der Gemeinschaftsbanken südlich von Salvador de Bahia. Die Exkursion führte in die kleine Gemeinde Ilhamar auf der küstennahen Insel Itaparica. Hier, wie in den meisten der erfolgreichen Währungsprojekte in Brasilien, ist die monetäre Komponente nur eine von vielen Aktivitäten des Projektes, dass sich selber als bürgerschaftliche Initiative zur nach- haltigen Entwicklung der Gemeinde versteht. Neben der lokalen Währung “Conchas“ in der wie andernorts auch Mikrokredite vergeben werden, sind Aktivitäten zum Umweltschutz, ein Gemeinschaftsgarten, Computer-Lernprogramme und Unternehmergruppen für nachhaltigen Tourismus teil des Projektes.
Die Gemeinschaftsbank in Ilhamar
Zumindest in der Disziplin Komplementärwährungen für nachhaltige, lokale Wirtschaftsentwicklung scheint Brasilien nach wie vor Weltmeister zu sein. Vielleicht kann Barcelona zur Konferenz in zwei Jahren ähnliche Spitzenleistungen vorweisen, wenn die unlängst gewählte Stadtregierung bis dahin ihre Pläne einer lokalen Währung umsetzen konnte.
Viele Grüße aus Brasilien, Leander Bindewald