Wenn es um alternative Geldsysteme geht, ist Fureai Kippu ein gern zitiertes Beispiel aus Japan, wie man mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft umgehen kann. Dabei handelt es sich um eine „Pflegewährung“ die man erhält, wenn man eine ältere oder hilfsbedürftige Person im Alltag unterstützt. Die Gutschrift sind Zeiteinheiten, also Stunden, über die eine Dachorganisation Buch führt und die von ihr verwaltet werden. Teilnehmer können ihre Zeitguthaben später, wenn sie selbst einmal Hilfe benötigen, wieder einlösen. „Das bestechend Einfache daran: Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde – ein völlig inflationssicheres Geld also,“ so Margrit Kennedy, Geldexpertin in einem Interview der SZ. Und was eignet sich besser als inflationssicheres Geld zur Altersvorsorge? Fureai Kippu, ein im japanischen Kontext entstandenes Konzept, passt gut in den deutschen Diskurs: Die „Zeitvorsorge Köln e.V.“ nennt in „10 gute Gründe für die Zeitbank“ Fureai Kippu als funktionierendes Beispiel für eine Zeitbank als „zusätzliche ergänzende Vorsorge für das Alter“, sofern sich dieses System flächendeckend bundesweit durchsetzt. Man spricht sogar von einer potentiellen vierten Säule der Altersvorsoge.
Fureai Kippu geht auf eine 1973 von Teruko Mizushima gegründete Volunteer Labour Bank, eine Zeitbank, in Osaka zurück. Sie ist dem Zeitbankensystem von Dr. Edgar Cahn sehr ähnlich, welches in den 80er Jahren entwickelt wurde. Mitglieder der Volunteer Labour Bank tauschten Dienstleistungen gegen Zeiteinheiten ein. Es handelt sich um einen Austausch, der auf Gegenseitigkeit beruht. Diese Zeitbank übernahm eine Pionierrolle, die meisten Fureai Kippu Organisationen in Japan haben aber einen anderen Ursprung. Zunächst entwickelten sich in den 80er Jahren viele Selbsthilfe-Organisationen, um älteren und bedürftigen Menschen zu helfen. In der japanischen Kultur ist aber die gegenseitige Hilfe von großer Bedeutung. Auf einen Gefallen soll mit einem Gefallen geantwortet werden. Die bloße Annahme von Hilfestellungen durch Freiwillige war daher für hilfsbedürftige Personen problematisch. Aus diesem Grund setzte sich zunächst die „bezahlte Freiwilligenarbeit“ durch, welche auch vom Gesetzgeber offiziell anerkannt wird. Die Bezahlung hat in diesem Fall Symbolcharakter. Aus diesen Organisationen heraus entstandenen viele Fureai Kippu Systeme, die eine Bezahlung mit Yen und der Zeitwährung kombinierten. Das hatte mehrere Gründe, denn die Bezahlung von Freiwilligen widersprach der Intention der Freiwilligen selbst, unentgeltlich Hilfe zu leisten. Außerdem hatten Menschen, die Hilfe benötigten, aufgrund der Bezahlung erhöhte Ansprüche. Eine Lösung stellte Fureai Kippu dar, die fortan ihre Freiwilligen mit einer Zeitwährung bezahlten, die sie später selbst wieder einlösen können. Zusätzlich wird ein Teil der Arbeit symbolisch bezahlt. Hierbei gibt es viele Mischformen, bei der die Bezieher von Unterstützung kleine Beträge pro Stunde zahlen die ausschließlich oder zum Teil an die verwaltende Organisation zur Deckung der Kosten gelangt. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass gerade jene Menschen, die Hilfe benötigen, keine Möglichkeit haben Zeitwährungen zu verdienen. Eine Kombination von Zahlungen in konventioneller Währung und Zeitwährung ist das derzeit häufigste Fureai Kippu Modell. Hiermit unterscheidet es sich von klassischen Zeitbanken, die meist ausschließlich auf Reziprozität durch Zeiteinheiten setzen.
Der Rückgang der Dynamik von Fureai Kippu Systemen in den 2000er Jahren ist auf vermehrte staatliche Leistungen zurückzuführen, welche aber aufgrund sehr hoher Kosten teilweise wieder zurückgefahren wurden. Viele dieser Systeme werden von staatlichen oder halbstaatlichen Organisationen unterstützt und mitfinanziert. Denn die Zivilgesellschaft soll auch in Japan ein wichtiger Teil der Lösung demographisch geschuldeter Herausforderungen sein. Möglicherweise steht auch Fureai Kippu vor Schwierigkeiten, wenn aufgrund der demographischen Entwicklung zu wenig gesunde Menschen auf ein zu große Anzahl hilfsbedürftiger Menschen stoßen. Andererseits gibt es Studien, die herausgefunden haben, dass nur 9% der Freiwilligen das Sparen von Zeitguthaben zur Vorsorge als Hauptmotiv angeben. Der Großteil nimmt aus altruistischen Gründen an diesem System teil und hat zum Teil gar nicht die Absicht ihr Zeitguthaben einzulösen.
Weiterführende Lektüre:
Hayashi, M. (2012) ‘Japan’s Fureai Kippu Time-banking in Elderly Care: Origins, Development, Challenges and Impact’ International Journal of Community Currency Research 16 (A) 30-44