„Regiogeld dient dem Gemeinwohl. Es bindet die Kaufkraft an die Regionen, fördert die regionalen Unternehmen und stimuliert regionale Wirtschaftskreisläufe. Es erweitert die unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten um einen regionalen Markt und ist als Werkzeug zur Regionalentwicklung einsetzbar. Es hilft, regionale Produkte abzusetzen, neue Umsätze zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu schaffen. Regionales Wirtschaften verkürzt die Transportwege und schont die Umwelt“

Den Zielen und Idealen, mit denen Regiogeld als Heilsbringer beworben wird – hier die Selbstdarstellung der im Regiogeld-Verband organisierten Initiativen –, mangelt es nicht gerade an Bescheidenheit. Eine Steilvorlage für alle Skeptiker und für alle, die ohnehin jegliches globalisierungskritische Gebaren als verwerflich, kleingeistig und rückwärtsgewandt verurteilen. Fundierte Kritik, zumal aus den Reihen der Wirtschaftswissenschaften, ist hingegen Mangelware. So wird denn auch bei jeder Gelegenheit die einzig bekannte, weil im Auftrag der Bundesbank verfasste kritische Studie über Regiogeld zitiert und deren Autor, Dr. Gerhard Rösl, um Stellungnahmen bemüht.

1. Kann Regiogeld die negativen Folgen der Globalisierung auffangen? Die globalökonomische Perspektive

Theoretisch könnten Regiogeld in Krisenzeiten eine Ausweichmöglichkeit darstellen, d.h. wie während der „Great Depression“, die Funktion eines Notgelds übernehmen. Die Gesamtmenge der heute in Umlauf befindlichen Regiogelder ist jedoch viel zu gering um dies im nötigen Umfang zu gewährleisten: Regiogeld macht gegenwärtig, auf Deutschland bezogen, weniger als 0,0000001% der im Umlauf befindlichen Gesamtgeldmenge aus.

Studien belegen außerdem, dass z.B. die in der Schweiz zusätzlich zum Franken auf Kreditbasis emittierte Komplementärwährung „WIR“ in Phasen des Konjunkturabschwungs eine ausgleichende Wirkung hat und somit Unternehmensinsolvenzen verhindert. Auch dies ist allerdings nur für den Kreis der teilnehmenden Unternehmen und die unmittelbar mit ihnen verflochtenen Zulieferer und Kunden eindeutig belegt. In Boomzeiten beklagen Unternehmen hingegen, dass sie auf ihrer Liquidität in „WIR“ sitzen bleiben oder diese nur mit Abschlägen wieder loswerden. Ob dieser Nachteil aus Sicht der Unternehmen den Liquiditätsvorteil in Krisenzeiten überwiegt, ist noch nicht abschließend geklärt.

2. Kostet Regiogeld mehr als es bringt? Die nationalökonomische Perspektive

Regiogeld erscheint in einer volkswirtschaftlich-Eurozentrischen Gesamtschau zunächst systemisch redundant („jetzt haben wir doch den Euro“) und verursacht somit wie jede doppelt bereitgestellte Infrastruktur zusätzliche Kosten, die von den Marktteilnehmern erwirtschaftet werden müssen.

Die tatsächlichen Kosten für Regiogeld hängen dabei eng mit der Gebührenstruktur des jeweiligen Regiogeldes zusammen. Bei Varianten mit Euro-Ein- und -Rücktausch, und zwar nur wenn sie die entsprechende Euro-Geldmenge tatsächlich vorübergehend aus dem Verkehr ziehen (!), sind die Liquiditätskosten höher als diejenigen für Euro-Liquidität. Denn dann fallen alle mit Regiogeld-Liquidität verbundenen Gebühren (z.B. die so genannte „Umlaufsicherungsgebühr“) volkswirtschaftlich betrachtet zusätzlich zu den Eurobezogenen Kosten an (z.B. Zins und Inflation). Die meisten Initiativen legen ihre Eurorücklagen aber nicht in einen Tresor, sondern auf ein Bankkonto, wo sie als kurzfristig verfügbare Sichteinlage ökonomisch wirksam bleiben. Je länger die Frist, desto mehr Liquidität ist (vorübergehend) im Umlauf und desto geringer fallen diese Kosten ins Gewicht. Bei Regiogeld das von vorneherein als zusätzliche Liquidität in Umlauf gebracht wird können sich die Liquiditätskosten auf den Umsatz bezogen denen des Euro annähern oder – je nach Gebührenstruktur – diese sogar unterschreiten.

Regiogeld gilt außerdem volkswirtschaftlich als nutzlos wenn die damit ausgelöste regionale Präferenz lediglich zu Kaufkraftverlusten und Umsatzeinbußen in benachbarten Gemeinden oder Bundesländern führt anstatt Importe aus anderen Ländern zu ersetzen. Was sich aus regionalökonomischer Perspektive positiv darstellen lässt, (z.B. ein Abzug von Kaufkraft aus Berlin zugunsten von Brandenburg), würde in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gar nicht erst auftauchen.

Durch die volkswirtschaftliche Brille betrachtet ist Regiogeld im Umkehrschluss nur nützlich, wenn es dazu beiträgt Importe aus dem Ausland zu substituieren ohne die Exporte zu schmälern, wenn es den Unternehmen insgesamt zusätzliche Liquidität und Umsätze ohne große Mehrkosten verschafft (und dies sich im BIP und in den Steuereinnahmen bemerkbar macht), wenn es die globale Wettbewerbsfähigkeit des Staates und der Unternehmen stärkt und wenn es die staatliche Konjunkturpolitik und die Währungspolitik der Notenbanken unterstützt.

Inwieweit diese Aspekte für die jeweiligen Spielarten des Regiogelds bzw. für einzelne Initiativen zutreffen oder nicht, ist bislang noch nicht systematisch untersucht worden. Auch volkswirtschaftlich kostenmindernde Effekte von Regiogeld und Komplementärwährungen, wie z.B. ihr mutmaßlicher Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsystems, sind schwer zu beziffern.

3. Funktioniert Regiogeld als Retter für schrumpfende Dörfer, Städte und Regionen? Die regionalökonomische Perspektive

Regiogeld kann in Schrumpfungsszenarien den Kapitalabfluss bremsen. Während ein investierter Euro im Schnitt nur ein bis höchstens dreimal innerhalb der Region ausgegeben wird, verbleibt Liquidität in Regiogeld deutlich länger in der Region und kann um ein vielfaches häufiger einkommenswirksam werden. Auf diese Weise wirkt Regiogeld theoretisch als solidarökonomisches Rettungsnetz gegen die sich selbst verstärkende Abwärtsspirale aus drohender Erwerbslosigkeit, Wegzug und Überalterung, sinkender Kaufkraft, geringeren Gewinnerwartungen und damit geringerer Investitionsbereitschaft.

In der Praxis ist dieser logisch erklärbare Effekt noch nicht empirisch nachgewiesen worden – das Gegenteil allerdings auch nicht. Es ist zu vermuten, dass sich die Annahmen bestätigen würden, der Effekt jedoch allein aufgrund des geringen Anteils der bestehenden Regiogelder am Gesamtumsatz bislang marginal ist.

4. Nützt Regiogeld den Unternehmen? Die betriebswirtschaftliche Perspektive

Aus Sicht der Unternehmen scheinen die Vorteile klar zu überwiegen. So kann es sinnvoll sein Regiogeld-Partner zu werden, wenn dies zusätzliche Kunden und Umsätze bringt, wenn es hilft Überkapazitäten zu vermarkten und ungenutzte Potenziale in Wert zu setzen, wenn es dazu beiträgt das Unternehmen in regionale Wertschöpfungscluster einzubinden, oder wenn es bedeutet, im Vergleich zu den Kreditkonditionen konventioneller Geschäftsbanken günstig an die nötige Liquidität zu kommen. Denn letztlich ist es für Unternehmen zweitrangig, in welcher Währung die Umsätze stattfinden – Hauptsache sie werden gemacht.

Auch hier gilt aber: Die tatsächlichen Kosten müssen im Einzelfall genau angesehen werden, und nicht jedes Regiogeld bringt jedem lokal ansässigen Unternehmen automatisch Vorteile. Kostenseitig ist Regiogeld nur interessant, wenn sich die dafür anfallenden Zusatzausgaben und der damit verbundene Mehraufwand mindestens in dementsprechenden Mehreinnahmen widerspiegeln.

Für ein gut vernetztes Unternehmen in einem prosperierenden Marktumfeld bringt Regiogeld keine unmittelbaren Vorteile. Betrieben, die stark von Ressourcenimport abhängig sind, könnte Regiogeld helfen Importe durch vor Ort vorhandenen Ressourcen zu substituieren und damit den stetigen Kapitalabfluss zu bremsen. Ob ein Unternehmen davon tatsächlich profitiert hängt aber vor allem davon ab wo seine Hauptabsatzmärkte sind. Ein Betrieb, dessen Produkte eigentlich für den Weltmarkt bestimmt sind, kann allenfalls profitieren, wenn die Teilnahme am Regiogeld-Markt seinen globalen Vertriebsweg um einen lokalen Absatzmarkt erweitert und so die einseitige Abhängigkeit von Devisenkurs- und Nachfrageschwankungen auf dem Weltmarkt reduziert. Stark regional verankerte bzw. ortsabhängige oder auf einen regionalen Absatzmarkt orientierte Unternehmen dürften strukturell gesehen am meisten von Regiogeld profitieren (z.B. Stadtwerke, Nahversorger, Ökolandbaubetriebe und Forstwirtschaft, dezentrale regenerative Energieerzeuger, Nahverkehr, Lokalpresse und -Medien, haushaltsnahe Dienstleistungen etc.).

Eurobasierte Regiogelder bringen den Partnerunternehmen dabei – neben dem Werbeeffekt – „nur“ eine relativ höhere Kaufkraft- und Kundenbindung und sorgen für eine indirekte Bevorteilung gegenüber Wettbewerbern. Die Gebühr und der Aufwand für den Rücktausch in Euro gehören dann zu den entscheidenden Bewertungsgrößen.

„Leistungsgedeckte“ Regiogelder können die Nachfrage und somit die Umsätze für die Gesamtheit der teilnehmenden Unternehmen insgesamt erhöhen, denn sie sind zusätzlich geschöpftes, exklusiv an diesen regionalen Markt gebundenes und nicht rücktauschbares Geld. Es verbleibt jedoch das unternehmerische Restrisiko Geld zu halten, das in Boomzeiten womöglich weniger Attraktivität (also Kaufkraft) hat. Dies lässt sich nur durch vorausschauende Liquiditätsplanung minimieren – ein weiterer Mehraufwand neben der aufwändigeren Kassenhaltung und Buchführung mit zwei Währungen. Zudem müssen Steuern und Abgaben nach wie vor in Euro bezahlt werden, auch auf Umsätze in Regiogeld.

5. Bringt Regiogeld dem Einzelnen konkrete Vorteile? Die individuelle Perspektive

Regiogeld kann und soll nur auf dem „regionalen“ Markt als Zahlungsmittel verwendet werden. Mit dem Euro kann man dagegen auch international das günstigste oder attraktivste Angebot wählen, mit entsprechenden Preis(dumping)vorteilen z.B. bei Billigimporten. Regiogeld ist also – aus Konsumentensicht – allein durch die Beschränkung auf die Region bereits „schlechteres Geld“ und wird, wie intendiert, dadurch bevorzugt wieder ausgegeben.

Viele Regiogelder haben darüber hinaus eine Gebührenstruktur, die den Geldhalter für die Dauer des Geld-Zurückhaltens in regelmäßigen Abständen belastet, die so genannte „Demurrage“, „Liquiditätsgebühr“ oder „Umlaufsicherungsgebühr“. Beides soll zu schnellerem Ausgeben, also einer schnelleren Umlaufgeschwindigkeit des Geldes führen, die z.B. im Falle des Chiemgauer wissenschaftlich belegt ist. Es ist allerdings bislang nicht erwiesen, in welchem Maße die Beschleunigung des Geldumlaufs explizit auf die „Umlaufsicherungsgebühr“ zurückzuführen ist. Die Kritik der Bundesbank-Studie ist diesbezüglich unzureichend und irreführend – darin wird z.B. die Rücktauschgebühr einfach mit aufsummiert. Hier gilt es deutlich genauer zu differenzieren:

Bei so genannten „leistungsgedeckten“ Regiogeldern, also Regiogeldern, die auf Kreditschöpfungsbasis zusätzlich zum Euro in Umlauf gebracht werden, kann eine „Umlaufsicherungsgebühr“ oder „Demurrage“ durchaus angemessen sein, wenn sie als Alternative zu Kredit- oder Überziehungszinsen fungiert. Werden Regiogelder hingegen lediglich in Form von regionalen Gutscheinen mit Euroeintausch und -Rücktausch herausgegeben und 1:1 zum Euro verwendet (das betrifft gegenwärtig fast alle „eurogedeckten“ Systeme), ist diese Gebühr zu hinterfragen. Denn sie macht das ohnehin eingeschränkt verwendbare Gutscheingeld bloß noch „schlechter“ und unnötig teuer.

Ein großes Kostendefizit spielen allerdings alle Regiogelder ein, wenn es um die individuellen Transaktionskosten geht. Denn oft ist es allein schon mit erheblichem Mehraufwand verbunden, Regiogeld überhaupt zu bekommen und es abseits der eingefahrenen Verbrauchsmuster bei anderen Geschäften und für andere als die bisher bevorzugten Produkte wieder auszugeben.

Dass einzelne Regiogelder dennoch steigende Nutzerzahlen vorweisen können, ist zum Großteil auf idealistische Motive zurückzuführen, wie z.B. eine grundsätzliche Kritik am Finanzsystem, die Identifikation mit der Region oder die mit vielen Regiogeldern verbundene Vereinsförderung.

6. Sind Regionale Komplementärwährungen automatisch nachhaltig? Die Nachhaltigkeitsperspektive

Zur Nachhaltigkeit tragen Regiogelder bisher indirekt bei, indem Regiogeld-Nutzer sich durch die Annahme des Zahlungsmittels „freiwillig verpflichten“ ihre Nachfrage auf regional verfügbare und daher größtenteils erneuerbare und mit weniger Transportaufwand verbundene Produkte zu richten. Auch milieuspezifische Effekte sind beobachtbar: Die meisten Regiogelder adressieren gezielt Unternehmen und Kunden, die Umweltthemen gegenüber von vorneherein aufgeschlossen sind.

Alle weiteren Nachhaltigkeitseffekte sind Spekulation, denn sie wurden bisher noch nicht empirisch untersucht. Dazu gehört die Annahme, Komplementärwährungen würden strukturell zur Stabilisierung des Finanzsystems beitragen, ebenso wie die These, mit der „Umlaufsicherungsgebühr“ als Ersatz für den Zins würden Regiogelder automatisch den exponentiellen Wachstumsdruck und den damit verbundenen Umweltverbrauch entschärfen – es könnte auch das Gegenteil damit einhergehen, nämlich ein beschleunigter oder unnötiger Konsum.

7. Kann Regiogeld wirtschaftliche Veränderungen bewirken? Die philosophische Perspektive

Fazit: Erstens: Regiogeld ist nicht gleich Regiogeld. Und zweitens: Regiogeld könnte insgesamt noch deutlich besser werden als sein ihm vorauseilend positiver Ruf. Denn es kann vielseitige Vorteile, auch die viel beschworenen Win-Win-Situationen bringen – muss aber nicht. Es kommt darauf an was man daraus macht.

Trotz aller Defizite und Fragezeichen ist davon auszugehen, dass Regiogeld einen Beitrag dazu leistet, unsere gegenwärtige Wirtschaftsweise und unseren Umgang mit Geld grundlegend zu verändern. Denn allein durch die Existenz der Idee und der damit verbundenen Begrifflichkeiten wird die Debatte über Geld und dessen gesellschaftliche Rolle neu stimuliert und ganz anders geführt, wie nicht zuletzt auch dieses Forum beweist.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.mehr-wissen-mehr-tun.de und steht auch mit Fußnoten und Literaturangaben als PDF zum Download bereit.