Zu Recht wird vielerorts lamentiert, dass heterodoxen Gedanken und Forschung zum Thema Geld nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. In dieser Hinsicht, war die Konferenz in Lyon (Frankreich) vom 1. bis 3. Juni 2016 ein Lichtblick.

Mehr als 60 Wissenschaftler aus der ganzen Welt kamen zusammen um Rück-und Vorschau zu halten über diese Tradition von Ideen und Forschungsprogrammen, die in Frankreich seit den 1970er Jahr einen besonderen Rückhalt hat.

In einer Zusammenkunft von verschiedenen historischen und aktuellen Strömungen bildete sich damals eine Schule von Theorien und Theoretikern heraus, die nun rückblickend als Französischer Monetärer Institutionalismus bezeichnet wird. Dabei wird Geld nicht als neutrales Tauschmittel angesehen, dessen Attribute rein effizienz-technisch oder historisch gegeben sind. Vielmehr wird es als Institution betrachtet, die unsere Interaktionen und natürlich auch Transaktionen maßgeblich prägt. Soweit würde natürlich auch niemand aus der traditionellen Wirtschaftswissenschaft widersprechen. Was jedoch bei einer institutionellen Sichtweise besonders hervortritt, ist wie sehr Geld nicht nur auf soziale Prozesse wirkt, sondern selber auch ein Produkt sozialer Prozesse ist. Eine reduktionistische, wertneutrale Betrachtung des Geldes ist dann nicht mehr möglich. Weder in Hinsicht auf die Verfassung des Geldes noch in Bezug auf die Interessen die es abbildet. Geht eine neoliberale Interpretation immer erst von dem Individuum und seinen Interessen aus, „kann man als Institutionalist nicht über das Individuum reden ohne gleichzeitig auch das Kollektive mitzudenken“, so Jean Cartelier in seinem Vortrag. Denn, so ergänzte Michel Aglietta, „individuelle Werte sind missverstanden, wenn sie nicht auch als kollektive Werte verstanden werden“ und „Geld wird damit zum strategischen Verbindungsglied unserer gesellschaftlichen Beziehungen.“

Und diese Funktion kann Geld nicht nur ausüben, wenn es staatlich legitimiert ist, wie so oft angenommen wird, sondern eben auch in privater Initiative. Beispiele dafür sind nicht nur die vielen gegenwärtig genutzten Komplementärwährungen, sondern wie Ökonom und Historiker Lucien Gillard zeigte, auch in Beispielen die historisch Bedeutung hatten, sogar im internationalen Hande, wie z.B. die kaufmännischen Ausgleichskassen der Renaissance. Und dies mit einer Verbreitung und realwirtschaftlicher Relevanz, die den heutigen Hype um bitcoins marginal erscheinen lässt.

Fragen nach dem „wie“ und „wieso“ und „warum nicht anders“ in Bezug auf Geld, wie wir es kennen, werden greifbarer und eine Pluralität von verschiedenen Geldern ist dann nicht nur ein Effizienzproblem, sondern ein Ausdruck verschiedener parallel berechtigter Werte oder Wertevorstellungen. Daher ist diese Schule an Geldtheoretikern auch viel aufgeschlossener gegenüber den Ideen und Praktiken komplementärer Währungen, die für andere Wissenschaftler oftmals nur eine Randerscheinung sind, die für Theoriediskussionen irrelevant erscheinen.

Über die Jahrzehnte hat sich Lyon als Hauptsitz dieser französischsprachigen Gruppe von Denkern etabliert, die, so bezeichnete es Jean-Michel Servet in seinem Rückblick, andernorts als die „Lyoneser Heretiker“ beschrieben wurden. So war der Veranstaltungsort am Institute für Politikwissenschaften mehr als passend.

Und ebenso waren die Vortragenden eine gute Repräsentanz des französischsprachigen Feldes heterodoxer Geldtheoretiker. Neben André Orleans und Michel Aglietta, die mit ihren Arbeiten massgeblich zur internationalen Anerkennung und zum Selbstverständnis des monetäre Institutionalismus beigetragen haben, stellten die Plenarsitzungen mit Jean Cartelier, Jean-Michel Servet, Massimo Amato und Bruno Theret eine seltene hochkarätige und multi-disziplinäre Umschau auf dies eine Thema dar. Es ging dabei aber nicht nur um das Selbstverständnis und eine interdisziplinäre Renaissance der Geldtheorien, sondern auch um die Schwierigkeit, ihnen in einer Atmosphäre von Tabuisierung und immer weiter fortschreitender Eingleisigkeit moderner Wirtschaftswissenschaften Gehör zu verschaffen. In thematischen Workshop Sitzungen, in denen die einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten vorgetragen wurden, ging es unter anderem um die Zusammenhänge und Perspektiven des Geldthemas mit Politik, Philosophie, Soziologie und Anthropologie, sowie die Rolle von Zentralbanken und internationalen Geldinstitutionen, historischen Perspektiven und aktuelle Fallstudien – wie dem Programm der Konferenz zu entnehmen ist.

Unter den Themen dieser Sitzungen fanden sich auch solche zum Thema Komplementärwährungen, betrachtet aus historischer, theoretischer, praktischer und aktueller Sicht. Der Anerkennung dieses Themas unter den Teilnehmern war es auch zu verdanken, dass im Rahmen dieser Konferenz die erste öffentliche Sitzung der neugegründeten internationalen Forschungsgesellschaft für Währungsvielfalt: RAMICS (Research Association on Monetary Innovation and Community and Complementary Currency Systems) stattfand. Über deren neuen Webpräsenz können sich nun sowohl individuelle als auch institutionelle Mitglieder anmelden. Die nächste von RAMICS organisierte Konferenz wird vom 10. bis zum 14. Mai 2017 in Barcelona stattfinden.

Ein Überblick des Französischen Monetären Institutionalismus findet sich in einem neuen Buch, das ebenfalls während der Konferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: „Théories Francaise de la Monnaie“ , von Pierre Alary, Jerome Blanc, Ludovic Desmedt und Bruno Theret.

theorie-francasieDas ein Buch über diese Theorien aus dem französischen Sprachraum aber nur auf französisch erscheint, schien im Rahmen der Konferenz fast wie ein rekursiver und schmerzlicher Scherz. Zwar waren während aller Plenarsitzung Simultanübersetzungen zwischen Französisch und Englisch angeboten, und dank der internationalen Gäste gab es teilweise auch Sitzungen auf Spanisch und Portugiesisch, aber die Beschränkung der wissenschaftlichen Publikationen auf die französische Sprache war nicht nur in den Kaffeepausen ein Thema. Eine ganze Sitzungsrunde beschäftigte sich unter dem passenden Title „Lost in Translation“ damit. Dazu passte leider auch, dass sich von den vielen internationalen Ehrengästen des wissenschaftlichen Komitees schließlich nur wenige unter den Anwesenden befanden und keiner aus dem englischsprachigen Ausland.

Immerhin ein Grundtext dieser Schule ist seit 2014 wenigstens in englischer Sprache erhältlich: André Orleans „The Empire of Value“ bietet einen Einstieg, der in Zukunft hoffentlich nicht an Sprach- und Denkgrenzen enden muss.

Mehr Informationen zur Konferenz, mit Downloads aller vorgestellten Arbeiten finden sich auf der offiziellen Webseite: https://imf2016.sciencesconf.org

Unser Autor Leander Bindewald schreibt seine theoretische Doktorarbeit zum Thema Geld und Komplementärwährungen als diskursive Institutionen am „Institute for Leadership and Sustainability“ der Universität Cumbria in Nordengland.