Tauschringe

Lokale Tauschringe (im englischsprachigen Raum als Local Exchange Trading Systems, LETS, bekannt) können als Professionalisierung und Weiterentwicklung der Nachbarschaftshilfe gesehen werden. Einerseits erlauben sie den Mitgliedern, sich auch ohne Geld gegenseitig Wünsche zu erfüllen. Andererseits spielen neben den materiellen Vorteilen auch ideelle und soziale Komponenten eine große Rolle. Der Zweck der zumeist ehrenamtlich oder von Vereinen betriebenen Tauschringe ist die Bildung sozialer Netzwerke auch über Generationen hinweg. Tauschringe können und sollen gemeinschaftsbildend wirken, die Wertschätzung der eigenen und fremden Leistungen steigern und Selbsthilfe und Selbstverantwortung ermöglichen. Auch eine gewisse Unabhängigkeit vom Arbeitsmarkt gehört häufig zur Philosophie. Tauschringe können die kulturelle und soziale Integration fördern, denn durch den Verzicht auf Euro-Liquidität bei den Transaktionen spielen Status und finanzielle Situation der Teilnehmer kaum eine Rolle.

Zahlreiche Tauschringe definieren Zeiteinheiten (Minuten oder Stunden) für die Verrechnung, womit sie zugleich die Wertigkeit menschlicher Arbeit in die Diskussion bringen. Hier ist die Grenze zur Zeitbank oder Pflegewährung fließend, siehe unten.

Steuerlich gelten Tauschring-Angebote als Nachbarschaftshilfe, solange sie nicht professionell (im Hauptberuf) angeboten werden und eine vom Gesetzgeber vorgegebene Einkommensgrenze nicht überschreiten. Die Verantwortung und Beweispflicht für die korrekte Versteuerung hat der Anbieter.

In einem nachbarschaftlichen Tauschring kann die Praxis zum Beispiel so aussehen:

Thomas benötigt Hilfe bei der Installation eines Betriebssystems auf seinem Laptop. Innerhalb der Tauschkreis-Plattform ist er auf Sabine aufmerksam geworden. Sie erledigt dies in zwei Stunden und Thomas lässt von seinem Verrechnungskonto die dafür veranschlagten Verrechnungseinheiten auf Sabines Konto gutschreiben. Der Saldo auf Thomas Konto verringert sich entsprechend. Thomas kann dies tun, weil er entweder einen ausreichenden Überziehungsrahmen hat oder zuvor z.B. Englisch-Nachhilfe für einen anderen Teilnehmer gegeben und dafür Guthaben erhalten hat. Sabine freut sich über die Gutschrift von Thomas, denn ein anderer Teilnehmer ist bereit, das bei ihr unbeliebte Fensterputzen für sie zu übernehmen.

Der gebürtige Schotte Michael Linton wird von einigen als „Erfinder“ der nichtkommerziellen Tauschringe angesehen. Er hatte 1982 in Courtney, im kanadischen Comox Valley auf Vancouver Island, den ersten Tauschring konzipiert, der als LETS bekannt geworden ist und vielen späteren Initiatoren, vor allem in den englischsprachigen Ländern, als Blaupause diente.

Anders als in anderen Ländern hat sich die Tauschringszene in Deutschland lange Zeit klar von der Regiogeld-Bewegung abgegrenzt, weil Tauschringe nach eigener Auffassung eine „nicht geldvermittelte Wirtschaftsweise“ praktizieren würden, so der ehemalige Hauptorganisator des Bundestreffens der Tauschringbewegung, Klaus Gräff.

Tauschringe sind meist ehrenamtlich in Vereinen oder genossenschaftlich organisiert. Tauschringe können wie Lokal- und Regionalwährungen nachbarschaftlich oder regional organisiert sein, häufig sind sie darüber hinaus auch überregional vernetzt, damit Mitglieder auch auf Angebote an anderen Orten zugreifen können (z.B. private Übernachtungen). Manche Tauschringe sind an Regionalwährungen angeschlossen, wie der Talente-Tauschkreis Vorarlberg (www.talentiert.at). Andere haben Schnittstellen zu kommerziellen Barter-Clubs und schaffen so noch mehr Flexibilität und Möglichkeiten. So arbeitet die österreichische GIT Trading mit dem Tauschkreis Graz zusammen und verbindet so den Unternehmerhandel mit dem Privattausch. Auch mit dem Verkauf der Verrechnungseinheiten gegen Euro wird vereinzelt experimentiert.

Zeitbanken

Die Popularität von Zeitbanken in den USA geht auf Dr. Edgar Cahn zurück, der mit Hilfe von Zeitbanken die Qualität und Effektivität von sozialen Dienstleistungen verbessern möchte. Er ist auch Gründer der 1995 etablierten TimeBanks USA, eine Dachorganisation, die Zeitbank-Initiativen auf vielfältige Weise unterstützt und weiterentwickelt. Auch hier ist die „Währung“ Zeit, welche für soziales Engagement verdient werden kann. Später kann man diese im Tausch für Dienstleistungen einlösen. Cahn sah eine Notwendigkeit darin Zeitbanken zu fördern, um dem Abbau von Sozialleistungen durch den Staat entgegenzuwirken. Von Bedeutung ist der Begriff Koproduktion, der Menschen nicht bloß zu passiven Empfänger von sozialen Dienstleistungen macht, sondern sie als Teil davon versteht. Diese Teilnehmer können die sozialen Dienstleistungen mitgestalten. TimeBanks USA, welches ein Netzwerk von mehr als 200 Zeitbanken in den USA betreut, definiert folgende 5 Kernprinzipien für ihr Zeitbankensystem:

  • Bereicherung: Jeder Mensch ist ein Gewinn und wir alle haben die Fähigkeit etwas Wertvolles beizutragen.
  • Neubewertung von Arbeit: Der Preis für viele Tätigkeiten liegt jenseits marktwirtschaftlicher Prinzipien.
  • Reziprozität: Geben und auch der Wille eine Gegenleistung für angenommene Hilfe zu erbringen liegt in der menschlichen Natur.
  • Respekt: Jeder hat es verdient, gehört zu werden, denn jeder zählt. Wir sind füreinander verantwortlich.
  • Gemeinschaft: Wir bilden ein soziales Netzwerk, denn wir brauchen einander. Gemeinsam können wir mehr erreichen, als alleine.

Während sich in den USA Zeitbanken dank Dr. E. Cahn in den 80er Jahren durchsetzten, wurden Zeitbanken in Großbritannien in den 90er Jahren populär. Unterstützt wurde dies unter anderem von David Boyle und der New Economic Foundation (NEF), einem Think-Tank der sich für eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Wirtschaft einsetzt. Timebanking UK spricht derzeit von ca. 300 Zeitbanken, die sie betreut. Die NEF ist Partner der Spice Zeitbank, welche das System Zeitbank weiterentwickelt hat, indem es staatliche Organisationen mit einbezieht. Erweitert wurde die Spice Zeitbank mit Hilfe der „Community Currencies in Action“ ein mehrjähriges, von der EU mitfinanziertes Projekt zur Etablierung und Erweiterung von alternativen Geldsystemen. Bei Spice verdienen Teilnehmer „time credits“ durch verschiedene gemeinnützige Tätigkeiten. Diese können bei Spice-Netzwerk Partnern ausgegeben werden. Im Gegensatz zu konventionellen Zeitbanken steht bei Spice eine gemeinnützige Organisation oder staatliche Einrichtung als Empfänger der Dienstleistung gegenüber. Die verdienten Zeiteinheiten werden zum Beispiel für den Besuch diverser Wellness-Einrichtungen, Museen, kulturellen Einrichtungen uvm. ausgegeben. Die „Gegenleistung“, die Freiwillige beim Verbrauch ihrer Zeiteinheiten erhalten, erscheinen den Betreibern günstig, da es sich häufig um nicht verkaufte oder freie Kapazitäten handelt.

Ein besonderes Anwendungsfeld für Zeitbanken sind Pflegewährungen wie z.B. das Japanische Fureai Kippu System und die Zeitvorsorge Stiftung der Stadt St. Gallen, Schweiz.

Steuerliche Behandlung

Zeitbanken sind in den USA von der Steuer befreit. Finanzämter grenzen Zeitbanken von kommerziellen Barter-Systemen ab, welche besteuert werden. Man erkennt die gemeinnützigen Absichten und besteuert diese Systeme daher nicht, was angesichts schwacher Sozialsysteme in den USA nicht verwunderlich ist. Auch in Großbritannien werden Zeitbanken und Tauschringe auf privater Ebene als gemeinnützig angesehen. In Deutschland hingegen gelten die üblichen steuerrechtlichen und gewerberechtlichen Bestimmungen. Tauschringe und Zeitbanken sind trotz ihrer gemeinnützigen Ziele nicht von der Steuer befreit. Den Teilnehmern wird pauschal die Erzielung von geldwertenVorteilen unterstellt.

Abgrenzung von Tauschringen und Zeitbanken

Viele nachbarschaftlich organisierte Zeitbanken sind von Tauschringen kaum zu unterscheiden. Zeitbanken hingegen haben häufig die Absicht, auch die Möglichkeit des Sparens z.B. zur Altersvorsoge einzubeziehen. Außerdem stellen Zeitbanken häufig soziale Aspekte deutlicher in den Vordergrund, weshalb auch die Einbindung von öffentlichen und sozialen Einrichtungen wie z.B. bei „Spice“ Sinn macht. Viele Studien haben gezeigt, dass Zeitbanken sozial förderliche Effekte aufweisen: Menschen lernen ihre Fähigkeiten einzuschätzen, denn Zeitbanken bieten Möglichkeiten Stärken zu finden und als Gegenleistung für Hilfe anzubieten. Auch die Stärkung von Gemeinschaften, Erweiterung sozialer Kontakte, Aufbau von Netzwerken und der Respekt füreinander sind Werte, die man in Geld nicht messen kann. Genau diese Werte sollen durch Zeitbanken gestärkt werden. Im Zusammenhang mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft können Zeitbanken ein Instrument sein, zivilgesellschaftliches Engagement zu Stärken und zu Fördern. Gerade darin wird häufig großes Potential gesehen – solange es nicht um bloße Kostenreduktion bisheriger Systeme, sondern um positive Impulse für neue Wege geht, die sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig sind. wo es jedoch weniger um die unmittelbare Verrechnung geht, sondern vielmehr um ein Ansparen von Sozial- und Pflegestunden für den späteren eigenen Betreuungsbedarf.

Software

Viele Organisationen setzen Online-Software zur Mitgliederverwaltung und Abwicklung der Verrechnungsgeschäfte ein, wie zum Beispiel die von der niederländischen Entwicklungshilfe-Organisation STRO entwickelte, open source Software Cyclos oder die in 34 Ländern verbreitete Tauschplattform CES von Ashoka Fellow Timothy Jenkins (Südafrika). Manche Tauschringe nutzen Software-Eigenentwicklungen, wie beispielsweise das Tauschnetz Elbtal.

Weiterführende Links:

LETSystem Design Manual: http://www.tauschwiki.de/wiki/LETSystem_Design_Manual
LETSLink UK: http://www.letslinkuk.net

Time Banks USA: http://timebanks.org
Time Banking UK: http://www.timebanking.org

SPICE Innovations Ltd, UK: http://www.justaddspice.org

Zeitvorsorge Stiftung der Stadt St. Gallen, Schweiz: http://www.zeitvorsorge.ch

Fureai Kippu: MONNETA Artikel: Pflegewährungen in Japan

Hayashi, M. (2012) ‘Japan’s Fureai Kippu Time-banking in Elderly Care: Origins, Development, Challenges and Impact’ International Journal of Community Currency Research 16 (A) 30-44

Die Initiative TALENT Schweiz ist eine Tauschbörse mit eigener Währung und bietet „Schweizweites Tauschen mit Alternativwährung“. TALENT ist ein zinsfreies Tauschmittel, das ein Gegengewicht zur Globalisierung der Märkte bildet.

1993 wurde das TALENT von der INWO gegründet. Seit 2001 ist TALENT Schweiz ein eigenständiger Verein.

Seinen Mitgliedern bietet TALENT Schweiz eine Vernetzungsplattform mitsamt Online-Marktplatz, wo Angebote eingestellt und über TALENT-Mitgliederkonten bargeldlos bezahlt werden können. Getauscht werden Waren und Dienstleistungen, professionelles und selbst gemachtes.

 

TALENT Schweiz im Web:

http://www.talent.ch

Postanschrift/Geschäftsstelle

Verein Talent Schweiz
5000 Aarau

Kontakt

Tel.  +41 (0)44 586 84 53

Skype: talentschweiz
Mail: info (at) talent.ch

Sekretariat:
Tel. +41 (0)44 586 84 53
Sprechzeiten Montags von 08.30 – 11.30 Uhr
Mail: sekretariat (at) talent.ch

Präsidentin:
Ursula Dold
Postfach 459, 9113 Degersheim
Tel. P. +41 (0)71 511 25 93
Mail: ursuladold (at) talent.ch

 

 

Wenn es um alternative Geldsysteme geht, ist Fureai Kippu ein gern zitiertes Beispiel aus Japan, wie man mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft umgehen kann. Dabei handelt es sich um eine „Pflegewährung“ die man erhält, wenn man eine ältere oder hilfsbedürftige Person im Alltag unterstützt. Die Gutschrift sind Zeiteinheiten, also Stunden, über die eine Dachorganisation Buch führt und die von ihr verwaltet werden. Teilnehmer können ihre Zeitguthaben später, wenn sie selbst einmal Hilfe benötigen, wieder einlösen. „Das bestechend Einfache daran: Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde – ein völlig inflationssicheres Geld also,“ so Margrit Kennedy, Geldexpertin in einem Interview der SZ. Und was eignet sich besser als inflationssicheres Geld zur Altersvorsorge? Fureai Kippu, ein im japanischen Kontext entstandenes Konzept, passt gut in den deutschen Diskurs: Die „Zeitvorsorge Köln e.V.“ nennt in „10 gute Gründe für die Zeitbank“ Fureai Kippu als funktionierendes Beispiel für eine Zeitbank als „zusätzliche ergänzende Vorsorge für das Alter“, sofern sich dieses System flächendeckend bundesweit durchsetzt. Man spricht sogar von einer potentiellen vierten Säule der Altersvorsoge.

Fureai Kippu geht auf eine 1973 von Teruko Mizushima gegründete Volunteer Labour Bank, eine Zeitbank, in Osaka zurück. Sie ist dem Zeitbankensystem von Dr. Edgar Cahn sehr ähnlich, welches in den 80er Jahren entwickelt wurde. Mitglieder der Volunteer Labour Bank tauschten Dienstleistungen gegen Zeiteinheiten ein. Es handelt sich um einen Austausch, der auf Gegenseitigkeit beruht. Diese Zeitbank übernahm eine Pionierrolle, die meisten Fureai Kippu Organisationen in Japan haben aber einen anderen Ursprung. Zunächst entwickelten sich in den 80er Jahren viele Selbsthilfe-Organisationen, um älteren und bedürftigen Menschen zu helfen. In der japanischen Kultur ist aber die gegenseitige Hilfe von großer Bedeutung. Auf einen Gefallen soll mit einem Gefallen geantwortet werden. Die bloße Annahme von Hilfestellungen durch Freiwillige war daher für hilfsbedürftige Personen problematisch. Aus diesem Grund setzte sich zunächst die „bezahlte Freiwilligenarbeit“ durch, welche auch vom Gesetzgeber offiziell anerkannt wird. Die Bezahlung hat in diesem Fall Symbolcharakter. Aus diesen Organisationen heraus entstandenen viele Fureai Kippu Systeme, die eine Bezahlung mit Yen und der Zeitwährung kombinierten. Das hatte mehrere Gründe, denn die Bezahlung von Freiwilligen widersprach der Intention der Freiwilligen selbst, unentgeltlich Hilfe zu leisten. Außerdem hatten Menschen, die Hilfe benötigten, aufgrund der Bezahlung erhöhte Ansprüche. Eine Lösung stellte Fureai Kippu dar, die fortan ihre Freiwilligen mit einer Zeitwährung bezahlten, die sie später selbst wieder einlösen können. Zusätzlich wird ein Teil der Arbeit symbolisch bezahlt. Hierbei gibt es viele Mischformen, bei der die Bezieher von Unterstützung kleine Beträge pro Stunde zahlen die ausschließlich oder zum Teil an die verwaltende Organisation zur Deckung der Kosten gelangt. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass gerade jene Menschen, die Hilfe benötigen, keine Möglichkeit haben Zeitwährungen zu verdienen. Eine Kombination von Zahlungen in konventioneller Währung und Zeitwährung ist das derzeit häufigste Fureai Kippu Modell. Hiermit unterscheidet es sich von klassischen Zeitbanken, die meist ausschließlich auf Reziprozität durch Zeiteinheiten setzen.

Der Rückgang der Dynamik von Fureai Kippu Systemen in den 2000er Jahren ist auf vermehrte staatliche Leistungen zurückzuführen, welche aber aufgrund sehr hoher Kosten teilweise wieder zurückgefahren wurden. Viele dieser Systeme werden von staatlichen oder halbstaatlichen Organisationen unterstützt und mitfinanziert. Denn die Zivilgesellschaft soll auch in Japan ein wichtiger Teil der Lösung demographisch geschuldeter Herausforderungen sein. Möglicherweise steht auch Fureai Kippu vor Schwierigkeiten, wenn aufgrund der demographischen Entwicklung zu wenig gesunde Menschen auf ein zu große Anzahl hilfsbedürftiger Menschen stoßen. Andererseits gibt es Studien, die herausgefunden haben, dass nur 9% der Freiwilligen das Sparen von Zeitguthaben zur Vorsorge als Hauptmotiv angeben. Der Großteil nimmt aus altruistischen Gründen an diesem System teil und hat zum Teil gar nicht die Absicht ihr Zeitguthaben einzulösen.

 

Weiterführende Lektüre:

Hayashi, M. (2012) ‘Japan’s Fureai Kippu Time-banking in Elderly Care: Origins, Development, Challenges and Impact’ International Journal of Community Currency Research 16 (A) 30-44